1.2 Die Landung

Der 12 jährige Collin Feister traute seinen Augen nicht. Er war auf dem Weg zu seiner Großmutter in Caister-On-Sea als er vom Westen die Flotte der Landungs- und Begleitsschiffe anmarschieren sah. Unfähig, irgendetwas zu unternehmen sah er zu, wie die  großen Landungsschiffe mit halbgeöffneten Bugklappen langsam an den langen Strand nördlich von Great Yarmouth heranfuhren. Als die Schiffe nah genug heran waren, öffneten sich die Tore zur Gänze und entliessen eine Unmenge an Material an den Strand.

"Hey Junge, fahr schnell in den Ort und alarmiere die Kommandantur. Die Deutschen landen. Mach schon!" rief ihn von hinten ein älterer Fischer an. Erst jetzt kam wieder Leben in den Jungen und so schnell er konnte raste er auf seinem alten Fahrrad nach Great Yarmouth zurück, um Alarm zu schlagen.
Inzwischen hatte mehrere Anwohner der kleinen Ortschaft mitbekommen, das hier etwas vor sich ging und kamen neugierig auf den Deich, um mit eigenen Augen zu verfolgen, woher den dieser Lärm käme.

Eigentlich rechneten die Engländer jetzt im späten August des Jahres 1942 nicht mehr mit einer Landung der deutschen Wehrmacht auf der Insel, allerdings ging man allgemein davon aus, das die Invasion, wenn sie denn käme, eher bei Dover stattfinden würde. Daher wurden die anderen, weniger gefährdeten Küstenabschnitte auch nicht so intensiv überwacht.

"Commander Miwierk, Command Miwierk, die Deutschen landen am Strand!", laut rufend rannte Collin die Treppen zum Büro des Ortskommandanten von Great Yarmouth hinauf. "Was sagst Du da, Junge?", unterbrach ihn der Vorzimmersoldat des Commanders, "Mit solchen Sachen macht man keinen Spass, hörst Du ? Das ist nicht lustig. Sie zu, das Du fortkommst, bevor der Commander Dir die Hosen langzieht." "Aber, bitte Sir, ich mache keinen Spass. Da sind eine Menge Schiffe am Strand, und die lassen Truppen an Land. Bitte, bitte, Sir, geben Sie doch Alarm."

21.08.1942 Freitag
Die Ostlage wird von der Feindseite weiterhin mit grossen Pessimismus dargestellt. [...] Unterdessen meldet die Times die Landung von mehreren großen Truppenverbänden an der Ostküste Englands. Angeblich handelt es sich um deutsche Truppen, die mit über 15 großen Transportschiffen an die Küste gebracht wurden. Dieses Mal hat sich der Führer sich selber mit der Geheimhaltung übertroffen. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter waren in die Vorbereitung der Invasion Englands engeweiht. In England herrscht große Verwirrung, und uns ist wieder einmal der große Coup gelungen.


Aus den Goebbels Tagebüchern

1.1 Der Einschlag

General von Randow stand an Deck der Fregatte "Aachen", des Führungsschiffes des 20 Schiffe starken Landungsverbandes. Der Verband hatte gerade die vielbefahrende Schiffahrtstrasse zwischen Esbjerg und Harwich gekreuzt und war jetzt mehr oder weniger alleine auf der Nordsee. Mit dem großen Verband an Schiffen in den relativ engen Gewässern zwischen den Niederlanden und England zu manöverieren war nicht einfach, da die moderne Schifffahrt in Friedenszeiten natürlich wenig Verständnis für ein grosses, militärisches Manöver hatte. Die nächste Strasse, die es zu queren galt, war die zwischen Rotterdam und Hull, aber bis der Verband dort war, würde es noch ein paar Stunden dauern. Der General hatte sich gerade mit einem Becher Kaffee in der Hand zum Kapitän des Schiffes, Kapitän zur See Weber, gestellt um mit ihm noch einmal kurz über die Verteilung der einzelnen Wellen bei der Landung zu reden, als auf einmal alles gleichzeitig geschah. Aus der Operationszentrale der Fregatte, auf der sie sich befanden, kam der dringende Anruf, auf dem Flugabwehrradar wäre ein großes Objekt aufgetaucht. Zur selben Zeit kam von der Seewacht in Norddeich per Funk die Meldung, ein großer Körper wäre gesichtet worden und er würde wahrscheinlich in fünf Minuten in der Nähe des Verbandes in die Nordsee stürzen. 

"Voraussichtlichen Einschlagort bestimmen, sofort auf Gegenkurs gehen und Nachricht an die anderen Schiffe. Nichts wie weg hier.", die Befehle des Kapitäns kamen kurz und knackig. "Einschlag berechnet, 90 Seemeilen westlich Kingston, ca. 200 Seemeilen von unserer jetzigen Position.", kam die Information aus der Operationszentrale. "Die Größe des Flugkörpers beträgt ungefähr 50 Meter im Durchmesser, es scheint sich um einen Meteoriten zu handeln. Das gibt eine ganz schöne Welle, wenn der hier einschlägt." "OP-Zentrale, verifizieren sie die Informationen mit der Seewacht!", befahl der Kapitän und wandte sich an den General: "Wir könnten mit einem blauen Auge davon kommen. Auf hoher See wird die Auswirkung des Einschlags nicht so dramatisch sein, aber an der englischen und niederländischen Küste wird es eine gewaltige Flutwelle geben. Beten wir dafür, daß die Leute rechtzeitig evakuiert werden kö..." Eine gewaltige Detonation unterbrach den Kapitän. Der Himmel erhellte sich so stark, als wenn zehntausende von Blitzen gleichzeitig ausgelöst wurden, verdunkelte sich danach schlagartig und genauso schnell wurden auch die Geräte in den Steuerkonsolen dunkel. Das ganze Schiff schien abzusterben, als plötzlich sämtliche Sicherungen aus ihren Halterungen sprangen. Überall fiel das Licht aus und auch die Notbeleuchtung sprang nicht an. Die einzige verbliebene Lichtquelle waren die schmalen Phosphorstreifen an den Wänden, die den Weg nach draußen zeigen sollten. Auch die starken Maschinen der Fregatte, die bisher für ein stetiges Hintergrundrauschen und Zittern gesorgt hatten, waren jetzt ausgefallen und das Schiff trieb inmitten eines Verbandes toter Schiffe durch die See.

"Anscheinend ist der Meteor in der Atmosphäre explodiert", stellte der Steuermann fest, als die Besatzung sich langsam wieder berappelt hatte. "Schering, überprüfen sie die elektrischen System und verschaffen Sie uns einen Überblick über die Lage!", ging der Befehl an den zweiten Offizier, der sich allerdings schon von alleine auf den Weg gemacht hatte. Er hatte das Ende der Brücke noch nicht erreicht, da ging als Erstes die Notbeleuchtung wieder an. Auch die robusteren System begannen langsam wieder Lebenszeichen von sich zu geben. Anscheinend war es dem Entstörungstrupp gelungen die Stromkreise teilweise wieder herzustellen.

"Offensichtlich hat die Explosion einen starken elektromagnetischen Impuls ausgelöst, der die Schutzsysteme des Schiffes überlastet hat", stellte der 2. Offizier fest. "Wir benutzen zwar überwiegend EMP-gehärtete Schaltkreise, aber die Impuls war so stark, das selbst diese ausgefallen sind." "Das dürfte die kompletten elektronischen Systeme in über 500 km Umkreis zerstört haben," sagte der Kapitän mehr zu sich selbst. "Der Signalmaat soll Kontakt zu den anderen Schiffen des Verbandes aufnehmen und Schadensmeldungen anfordern."

Alles was die Männer in endlosen Übungen die ganzen Jahre über immer und immer wieder trainiert hatten klappte jetzt in der Realität nach leichten Anlaufschwierigkeiten überraschend gut. Aus den einzelnen Stationen gingen die Schadens- bzw. Klarmeldungen in der Operationszentrale der Fregatte ein. Bis auf einige Matrosen, die mitten in den Explosionsblitz geschaut hatten und nun für die nächsten Tage nur noch Sterne sehen würden, hatte es wie durch ein Wunder keinerlei Verletzten gegeben. Auch die elektronischen System konnten nach dem Austausch der Sicherungen und dem Hochfahren der diversen Schiffsrechner nach und nach wieder benutzt werden. "Radar klar" "Luftraumüberwachung klar" "Navigation klar" kamen nach und nach die Meldungen von den einzelnen Arbeitsplätzen in der OPZ herein. "Position ?" fragte Kapitän Weber beim Navigationsmaaten an. "Negativ, Kapitän." kam die zögernde Antwort, "wir haben anscheinend einen Schaden am GPS und auch Galileo bekommen wir momentan nicht herein. Das System zeigt keine Satelliten an. Ich werde einen Systemcheck starten."

1. Im Hafen

Der Obergefreite Volker Richter hatte ein ungutes Gefühl. Seine Kompanie sollte mit der ganzen Brigade auf 12 große Transportschiffe verladen werden. Panzergrenadiere auf dem Wasser? "Wenn ich aufs Wasser gewollt hätte, wäre ich zur Marine gegangen." knurrte er zu seinem besten Kumpel und Zimmergenossen Martin Heidenreich. "Und guck' dir nur mal die Amis an. Denen passt das überhaupt nicht, uns die dicken Pötte für die nächsten zwei Wochen zu überlassen. Was die alles für Regeln aufgestellt haben, hier nichts anfassen, dort nur nach Nachfrage und und.", "Als wenn wir Spielzeugsoldaten wären." pflichtete Martin ihm bei. Für die beiden Aufkärungspezialisten gab es hier im großen Hafen von Wilhelmshaven nicht viel zu tun. Sie warteten mehr oder weniger ungeduldig auf das Zeichen des Kompaniefeldwebels, das ihr Zug mit der Einschiffung dran wäre. Überall stand schweres Kriegsgerät zur Verladung bereit, schwere Panzerhaubitzen der neuesten Bauart, die modernen Leopard 2B1 Kampfpanzer neben den Schützenpanzern "Puma" und gewaltigen LKW und Pionierfahrzeugen, deren Sinn sich den beiden Soldaten auf den ersten Blick nicht erschloss. Sie waren Teil des ersten Großmanövers der Bundeswehr, bei dem die Invasion einer fremden Küste geübt werden sollte.

In den vergangenen Jahren hatte sich der Auftrag der Bundeswehr entscheidend geändert. War die Armee in den ersten 40 Jahren ihres Bestehens eine reine Verteidigungsarmee mit beschränkten offensiven Fähigkeiten, die die deutschen Grenzen verteidigen sollte, hatte sie nun im Auftrag der NATO, der EU und der UNO weltweit für Frieden zu sorgen oder ihn notfalls mit Gewalt zu erzwingen. Dementsprechend wurde in den letzten 15 Jahren die Ausrüstung im Hinblick auf leichte Verlegbarkeit und größere Offensivkraft geändert. Nachdem die EU im Jahre 2001 beschlossen hatte, eine eigene Friedenstruppe aufzustellen, hatte die Bundeswehr den Zuschlag für die Aufstellung von drei schnellen Division mit jeweils drei Brigaden samt Unterstützungstruppen bekommen. Das diesjährige Manöver "Fall Avalon" war auf die mögliche Landung einer dieser neuen, verstärkten Brigade an einer fremden Küste ausgelegt. Im Rahmen dieser Übung sollten die Soldaten an der Küste Englands anlanden und somit die Befriedung eines Landes vom Wasser aus proben. Dieser erste Einsatz der neuaufgestellten schnellen Panzer-Eingreifbrigade 31, zusammen mit einem unterstellten Flugabwehrregiment und einem speziell ausgerüsteten Pionierbataillon versetzte die gesamte Bundeswehr in kollektive Unruhe, hing doch von dem erfolgreichen Test die weitere Finanzierung der schnellen Eingreiftruppe durch die Europäische Union ab. Die französischen Streitkräfte, die sich ebenfalls für diese Aufgabe beworben hatten, beobachteten Argwöhnisch jeden einzelnen Übungspunkt, um im Falle des Falles als triumphierende Alternative bereit zu stehen. Die Soldaten dieser Brigade waren ausschließlich längerdienende Zeit- bzw. Berufssoldaten, die alle eine ausgiebige Spezialausbildung hinter sich hatten. So auch Volker Richter und Martin Heidenreich vom Nachrichtenzug der Stabskompanie der Brigade. Ihre Aufgabe war die Aufklärung des Feindes, wenn es sei musste auch in Sonderaktionen oder als bewaffneter Spähtrupp. Im Moment konnte man es den gammelnden Soldaten nicht ansehen, aber im Einsatz standen sie den Spezialtruppen der SAS oder der KSK in nichts nach.

"Ich hab' bei der Sache kein gutes Gefühl," murmelte der kräftig gebaute, aber doch wendig wirkende Richter vor sich hin, "Panzer und Wasser, das passt einfach nicht.". "Mensch Volker, nur weil du Wasserscheu bist und bei der Tauchübung fast ersoffen wärst, brauchst du doch jetzt nicht so schwarz zu sehen." entgegnete der etwas kleinere und quirlige Heidenreich. "Was heißt hier fast ertrunken? Die Marineaffen haben mir einen defekte Flasche gegeben!" fuhr Richter ihn an, "Ich hab' noch Glück gehabt, das ich das gemerkt habe und schnell aufgetaucht bin, sonst wäre ich jetzt auf der anderen Seite.". Heidenreich lachte jetzt laut auf, "Defekte Flasche, ja ne, schon klar. Du hat einfach unter Wasser Panik bekommen. Und jetzt bist du immer noch der einzige im ganzen Zug, der das Kampfschwimmerabzeichen nicht hat.". "Dafür bin ich der beste Scharfschütze in der gesamten Brigade. Jeder muss halt sehen, das er seine besonderen Stärken einbringt.", versuchte jetzt Richter die Situation zu retten, als sich der Spieß endlich dem Bereich des Zuges zu wandte und mit seiner Kasernenhof erprobten Stimme lauter als eigentlich notwendig den Aufklärungszug aufforderte an Bord des Schiffes zu gehen.

Die großen, amerikanischen Panzerlandungsschiffe mit ihren über 130 Metern Länge waren sehr beeindruckend. Mit über 3.000 Tonnen Ladekapazität waren sie in der Lage, fast 50 Leopardpanzer zu transportieren. Die US Navy hatte der Bundesmarine 12 dieser Riesenschiffe zur Verfügung gestellt, um dieses Manöver durchzuführen. Obwohl der Laderaum gigantisch war, reichte er gerade mal so um die gesamte Ausrüstung der schweren Brigade zu transportieren, sah doch das Szenario die komplette Selbstversorgung der eingesetzten Einheiten über einen längeren Zeitraum vor.
Um eine möglichst große Realität zu erreichen, wurde sogar scharfe Munition aus den in ganz Deutschland verteilten Depots hier in Wilhelmshaven auf drei Munitionstransportschiffe verladen. An alles hatten die Planer bei der Ausrüstung dieses Einsatzes gedacht, ein Feldlazarett fehlte ebensowenig, wie ein komplettes Feldpostamt und sogar ein mobiler IT-Trupp zur Wartung der Computer war dabei.

Nachdem das schwere Gerät der Stabskompanie verstaut war, musste jetzt die Kompanietruppen sehen, das sie zwischen dem ganzen Gerät noch einen Platz für sich und ihre Ausrüstung fanden.  Auf dem dritten Deck wurden die Soldaten dann schließlich fündig. Hier standen die fünf nagelneuen Boxer GTK Mannschaftstransportwagen der Kompanie, die kurz vor dem Manöver die alten M113 abgelöst hatten. Da keiner damit rechnete, dass sich jemand an den Fahrzeugen zu schaffen machen würde, waren sie sämtlich offen und luden die Kameraden geradezu ein, es sich in dem Führungsfahrzeug, dessen Modul mit mehreren Liegen ausgestattet war, gemütlich einzurichten. Da sie jetzt aus den Augen des Spießes verschwunden waren, fragte auch keiner mehr nach, wo denn wohl der Aufklärungszug ab geblieben sein mochte.

Draußen wurden die Geräusche, die durch die Verladetätigkeiten entstanden, langsam weniger und schließlich legte sich ein Tuch der Stille über den riesigen Frachtraum. Außer der nervtötenden Spielmusik aus Richters Handy und dem leisen Schnarchen Heidenreichs waren kaum noch Geräusche in dem großen Fahrzeug zu hören. Vorne im Fahrerbereich hatten es sich zwei weitere Kameraden gemütlich gemacht, die auf einem kleinen Netbook einen aktuellen Spielfilm sahen, und sich dabei über die realitätsferne der Kampfszenen dieses Films ausließen.

Prolog - Teil 2

"Wir treffen uns dann um eins am Bahnhof, ok?", ihre Freundin Saskia klang ein bisschen aufgeregt am Telefon, "Ja, ich will das probieren, mal schauen wo man parken kann", entgegnete Sandra. "Super, also ich freue mich drauf, bis gleich.", Saskia schien sich wirklich darauf zu freuen mit Sandra in eine Männerdomäne einzubrechen. Sandra war sich da nicht so sicher. Sie war eigentlich weder gerne unter vielen Menschen, noch verstand sie auch nur ansatzweise etwas vom Fußball. Aber ihre beste Freundin Saskia hatte ihr zur Feier ihrer bestandenen Facharztprüfung zwei Tickets für das seit langem von der ganzen Stadt herbeigefieberten Spiel gegen München geschenkt. Es war wohl ganz schön schwierig gewesen, diese Tickets direkt an der Mittellinie zu bekommen, und die Idee war ja auch sehr außergewöhnlich gewesen, also hatte Sandra zugesagt. Warum auch nicht? Ihr Freund Marco hatte heute sowieso keine Zeit, wollte mit ein paar Kumpels abhängen oder so. Schon komisch, dass er überhaupt kein Interesse an diesem Spiel zu haben schien, wo er doch sonst die Tabelle 'rauf und 'runter beten konnte. Sie legte die Zeitung mit den Stellenangeboten beiseite, das brauchte sie jetzt ja nicht mehr zu interessieren. Reine Gewohnheit hatte sie geritten, dass sie sich diesen Teil wie immer zuletzt vorgenommen hatte. 

Da es ein schöner Tag Anfang Mai war, beschloss Sandra sich nicht zu dick anzuziehen, Jeans und einfaches Shirt in grün sollten reichen um die Verbundenheit mit dem Heimatverein im Weserstadion zu symbolisieren, die kurze Jeansjacke drüber gezogen, und los gings. Kaum war sie aus der Tür ihrer Wohnung getreten, fühlte sie auch schon diese merkwürdige Atmosphäre, die sich in der gesamten Stadt auszubreiten schien, wie ein kollektives Kribbeln im Bauch. Auf dem Weg zu ihrer Laternengarage kamen ihr schon andere Wagen mit Werderfahnen an den Fenstern entgegen und sogar ein Bus aus München kurvte herum, der schien sich wohl trotz moderner Navigationsgeräte verfahren zu haben.


Sie hatte vor, auf dem Großparkplatz am Bahnhof zu parken und machte sich nun in ihrem uralten Golf auf den Weg. Ein neues Auto wollte Sandra sich gönnen, wenn sie ihre erste feste Stelle im August angetreten haben würde. Fachärztin für Unfallchirurgie an der Charité in Berlin, ja, es würde stressig, aber toll werden. Da war sie sich sicher. Nur das sich Marco noch nicht sicher war, ob er mitkommen sollte nach Berlin, dass war noch ein Wermutstropfen, aber sie würde ihn schon noch umstimmen können, ganz sicher. Und gute Verkäufer würden schließlich auch in Berlin gebraucht. Kaum hatte sie diese Gedankenspiele zuende gebracht, war sie auch schon auf der Bürgerweide angekommen. Von hier bis zum verabredeten Treffpunkt waren es kaum fünf Minuten zu Fuß. Warum man sich allerdings um 13:00 Uhr treffen sollte, wenn das Spiel doch erst um 15:30 Uhr losging, auch das gehörte wohl zu dem ganzen Mysterium "Fußball" dazu. Je näher sie dem Treffpunkt kam, desto mehr Männer und auch Frauen, die sich in die merkwürdigsten Fanutensilien gekleidet hatten, sah sie aus allen Richtungen auf sich zukommen. Die Farben grün und weiß beherrschten die Szenerie aber auch vereinzelte rot-weisse Fans der anderen Mannschaft konnte man sehen. Hunderte, ja tausende Menschen mussten jetzt unterwegs sein. "Sind hier eigentlich Sanitäter oder Notärzte vor Ort, bei so vielen Menschen?" schoss es ihr durch den Kopf. Im selben Moment musste sie über sich selber grinsen, immer übervorsichtig und nie richtig abschalten können, so war sie schon immer gewesen. 


Und da stand Saskia auch schon, aber was war mit ihrer Freundin geschehen? Von dem alten Werdertrikot über gefühlte fünfzehn Fanschals bis hin zu den grün-weißen Strähnen in den langen, leicht gewellten, blonden Haaren fehlte nichts um sie als Hardcore Fan auszuzeichnen. "Hammer, wie siehst du denn aus?", mehr fiel Sandra zur Begrüßung nicht ein. "Hey Süße, lebenslang Grün-Weiss ist nicht nur ein Spruch", erwiderte Saskia mit einem breiten Grinsen. "Und jetzt genieße einfach die Atmosphäre und das ganze drumherum. Schalte einfach mal ab, und lass' dich gehen. Es wird dir gefallen".  Gemeinsam gingen die beiden Freundinnen zur Straßenbahnhaltestelle um die nächste Verbindung zum Stadion zu bekommen. Dort standen schon an die 100 Fans bereit und warteten ungeduldig auf die avisierte Bahn. Saskia und Sandra gesellten sich dazu. "Was sagt eigentlich Marco dazu, das du heute zum Fußball gehst? Das muss ihn doch bestimmt ärgern, das du mit mir mitgehst und mit ihm nie wolltest?", frage Saskia unbekümmert. "Ach, der weiß das noch gar nicht. Wir haben uns seit Donnerstag nicht gesehen, er hatte soviel zu tun, Termine und so. Und beim telefonieren hab' ich glatt vergessen, ihm das zu sagen. Wir waren so damit beschäftigt, die große Party zu planen.". "Na der wird gucken, wenn du ihm dann heute Abend erzählst, wo du warst, wa?". "Ja," lachte Sandra, " der glaubt das nie, dass ich mit dir bei Werder war.". Das Gedränge wurde stärker und die beiden jungen Frauen mussten aufpassen, nicht zerdrückt zu werden. Hier gab' es keine Rücksicht für Frauen oder alte Leute, der Mob wollte in die Bahn! Nach gefühlten 30 Minuten des Schiebens und Schubsens waren dann endlich beide in Inneren der Bahn angekommen. Sie hatten sogar ein wenig Platz im Mittelgelenk der Straßenbahn gefunden und konnten relativ bequem stehen. "Puha, so was habe ich ja noch nie erlebt, als wenn es ab sofort keine Züge mehr gibt." schnaubte Sandra sichtlich mitgenommen. Saskia hingegen strahlte über das ganze Gesicht: "Ich liebe Fußball, diese ungefilterten Emotionen". "So was kann auch nur von einer Psychologin kommen.", ereiferte sich Sandra, "Und zu mir sagen, ich soll mal abschalten". "Ach lass' doch," erwiderte Saskia, "ich schreib' doch nun mal meine Doktorarbeit über Massenverhalten, da gehören Liveexperimente doch dazu".


Inzwischen hatte sich das Fahrzeug in Bewegung gesetzt und fuhr langsam in Richtung Stadion. Die Luft wurde rapide schlechter und die kleinen Klappfenster wurden geöffnet. Schwaden von Bier- und Schweißdüften zogen an ihrer Nase vorbei. Einige ihrer Mitfahrer hatten sich sogar verbotenerweise eine Zigarette angezündet aber mit einer Kontrolle war hier und jetzt nicht zu rechnen. Weiter vorne hatte sich ein Trupp Fans zusammengetan und skandierte Lautstark: "Gebt mir ein HAAAAAAAAA" - "HAAAAA" und weitere Buchstaben folgten, um danach wie bekloppt auf und ab zu springen, dass fast die ganze Bahn ins Wackeln geriet. Hinter den beiden Freundinnen probierten ein paar Bayernfans ein Schmählied anzustimmen, das aber relativ schnell unterbrochen wurde, weil ein hundert stimmiges "WERDER WERDER" rufen diesen Versuch im Keim erstickte. So verging diese unterhaltsame Fahrt schnell und schon nach gut 20 Minuten standen die beiden jungen Frauen an der Haltestelle vor dem Tunnel zum Stadion. Auch hier liefen mehrere Hundert fröhliche Fußballfans herum. Vor der stadtbekannten Fankneipe "Taubenschlag" standen, wie bei jedem Heimspiel, Trauben von Menschen herum um ihren Alkoholspiegel auf Betriebstemperatur zu bringen. Überall konnte Sandra Fetzen von Unterhaltungen aufschnappen, Namen und Daten. Das meiste sagte ihr nichts, sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal wer aktuell für die beiden Mannschaften spielen würde. Der letzten Spieler an den sie sich erinnern konnte war ein gewisser "Ailton" gewesen, aber das war Ewigkeiten her. Endlich hatten sie den Tunnel unter der Hauptstrasse am Stadion hinter sich gelassen und konnten das erste mal den Blick auf das komplett mit Solarzellen verkleidete Weserstadion werfen. Wie ein notgelandetes Ufo lag dieser Riesenbau an der Weser. Ameisen gleich umströmten die Menschen den gewaltigen Bau. An diversen Bier- und Fressbuden auf dem Vorplatz standen lange Schlangen um sich für den bevorstehenden Wettkampf zu stärken. "Komm' ein Bier vorher ist Pflicht!", forderte Saskia ihre Freundin auf und hatte sich schon am Bierstand angestellt. Obwohl andere Leute offensichtlich schon wesentlich länger auf ihre Erfrischung gewartet hatten, war sie nach nicht einmal zwei Minuten mit zwei notdürftig bis zum Rand gefüllten Bechern wieder bei ihrer Freundin. "Geht doch nichts über ein gewinnendes Lächeln", lachte sie laut heraus. Sie schien wirklich ihren Spaß zu haben, während sich Sandra doch eher unwohl fühlte. 


Die Sangesschlachten der beiden Fangruppen und dann und wann aufleuchtende Bengalfeuer trugen das übrige dazu bei. "Die ganz harten sind sowieso nicht hier, die treffen sich immer auf irgendwelchen Plätzen, um sich gegenseitig zu vertrimmen.", versuchte Saskia ihrer Freundin ein wenig das Unbehagen zu nehmen. Mit dem Rücken an eine mobile Ticketverkaufsstelle gelehnt, die allerdings ob des ausverkauften Spieles geschlossen hatte, standen sie ein wenig abseits und betrachteten die Leute, die an ihnen vorüber zogen. Ein uniformierter Zug Bereitschaftspolizei kam vorbeimarschiert und bezog gegenüber den gegnerischen Fans Stellung. "So Uniformen haben ja etwas, was die Menschen stark macht,", kam natürlich sofort der Kommentar der Psychologin Saskia, und Sandra musste grinsen. Nachdem die beiden ihr Bier geleert hatten, wurde Saskia zunehmend ungeduldig, "Los, lass uns reingehen, die Mannschaft begrüßen!". Aus Sandras Augen sprach pures Unverständnis, aber sie folgte Saskia auf dem Fuß. "Hier ist unser Eingangstor," Saskia zeigte auf eine lange Schlange Fans vor einem vergitterten Einlass. Auf beiden Seiten standen moderne Barcodescanner, die die Tickets der Zuschauer überprüften und danach den Eingang freigaben. Eine nette Securitymitarbeiterin tastete Sandra und Saskia kurz auf verbotene Gegenstände ab und schon waren sie drinnen. "Dort, Block 12, das ist unserer," Sandra zeigte auf einen Durchgang. Durch den Gang konnte man jetzt schon einen Teil des Rasen sehen. Noch nie hatte Sandra so grünen und saftigen und akkurat getrimmten Rasen gesehen. Fast zu schade zum Fußballspielen dachte sie bei sich. Saskia war schon vorgegangen und hatte die Plätze gefunden. 

Froh einen Moment sitzen zu können ließ sich Sandra auf ihrer Sitzschale nieder, um einen Augenblick später unsanft zum Aufstehen gezwungen zu werden, als der Stadionsprecher rief "und jetzt liebe Fans, gebt mir ein WEEEEE" - "WEEEE" antworteten die bereits anwesenden Fans. "Gebt mir ein IIIIIIIIIIII" und wiederum skandierten die Zuschauer den aufgeforderten Vokal. So ging es weiter bis der Name des zu begrüßenden Spielers durchbuchstabiert war. Inzwischen hatten zwei Personen das Spielfeld betreten und der Torwart winkte den Anwesenden zu und bedankte sich für die herzliche Begrüßung. Währenddessen lief auf den beiden Großbildleinwänden des Stadion die Pregameshow. Werbeeinblendungen wechselten sich Glückwünschen an anwesende Geburtstagskinder ab. Zwischendurch schwenkte der Kameramann ein wenig über das Publikum um auf einem eng umschlungenen Pärchen stehen zu bleiben, die damit beschäftigt waren, sich intensiv zu küssen, bis alle anwesenden Fans anfingen die beiden anzufeuern und zu klatschen. Es hatte schon etwas entblößendes, die beiden jungen Leute bei einem so intimen Moment zu beobachten, aber in jedem steckt doch ein kleiner Voyeur, dachte Sandra bei sich. Jetzt hatten sie es bemerkt, das der Applaus ihnen galt und sie ließen voneinander ab. Sandra wurde totenbleich als sie erkannte wer der Mann in dem Pärchen war. "Das kann nicht sein", schoss es ihr siedend heiß durch den Kopf als Saskia atemlos rief: "Aber, aber das ist doch Marco!!!". 

Einen langen Moment war sie wie gelähmt, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, da zog Sandra ihr Handy aus der Tasche und wählte Marcos Telefonnummer. Als nach 4-5 Rufzeichen ihr Freund ans Telefon ging, konnte sie im Hintergrund schon die typischen Stadiongeräusche hören. "Sag' mir, das du nicht im Stadion bist. Sag' mir nicht Du das eben warst," sie war schon fast hysterisch als sie die Worte in den Hörer rief. "Sandra, das ist nicht so wie du denkst, ich kann dir das alles erklä.", aber sie hatte schon genug gehört. Es war als breche die Welt um sie herum zusammen. "Weg hier, ich muss hier weg", das waren die einzigen Gedanken die sie noch fassen konnte. Sie stand ohne ein weiteres Wort zu Saskia auf und verließ fast panisch das Stadion. Wenn es ihr nicht schnell genug ging, rempelte und schubste sie die Leute beiseite. Tränen liefen ihr übers Gesicht. "Was mache ich hier. Warum hat er das getan". Wirre Gedanken schwirrten wie aufgeschreckte Fliegen durch ihren Kopf. Endlich war sie an der Straßenbahnhaltestelle. "Ich halt das nicht aus, ich muss hier weg", das waren die einzigen Gedanken, die sie noch fassen konnte. Nach gefühlten Stunden war sie endlich zu Hause, immer noch nicht in besserer Verfassung. Auf dem Tisch lag immer noch die Zeitung mit den Stellenanzeigen, genau so wie sie sie vor ihrem Aufbruch hingelegt hatte. Das Telefon klingelte, und als sie auf dem Anrufbeantworter Marcos Stimme hörte, fiel ihr Blick auf eine Anzeige der Bundeswehr: 'Ihre Karriere bei den Streitkräften, als Ingenieur oder Arzt. Es erwartet sie eine abwechslungsreiche, weltweite Tätigkeit' ...

Prolog - Teil 1

Es war später Nachmittag am Dienstag und die langsam untergehende Sonne schien blendend durch das große Panoramafenster an der Längsseite des leeren Besprechungsraumes. Zwei Personen hielten sich in dem Raum auf, indem sonst Kolloquien oder wissenschaftliche Veranstaltungen stattfanden. "Meinen Sie, das Sie wirklich alle möglichen Seiteneffekte beachtet haben?" fragte der Leiter des Instituts den Leitenden Projektingeneur. "Sicherlich haben wir alle kalkulierbaren Risiken berechnet und weitestgehend ausgeschlossen. Ein Risiko im Promillebereich bleibt immer, das wissen sie genausogut wie ich." entgegnete der angesprochene Ingeneur Klatt dem skeptischen Prof. Michler. "Aber wenn wir das Experiment heute Nacht nicht starten, müssen wir, wie sie sicherlich wissen, wieder drei Jahre auf die nötige Mond-Sonne Konjuktion warten. Nur heute Nacht haben wir die nötige Sonnenfleckaktivität,die die zur Verfügung stehende Energie verstärkt." 

Klatt war ein großer hagerer, ja fast schon asketischer Mann in den späten vierzigern, der seinem Gegenüber mit seinen stechenden Blick aus den graublauen Augen immer wieder Unbehagen einflößte. Er arbeitete seit über 10 Jahren an seinem Schwarzberg-Generator, mit dessen Hilfe er Energie aus einem künstlichen Magnetfeld erzeugen wollte. Heute sollte es nun soweit sein und Klatt fühlte sich dem Nobelpreis nahe wie nie zuvor. Wenn nur die ewigen Bedenkenträger wie Prof. Michler nicht wären, die immer und überall nur Probleme und Gefahren sahen. "Haben sie die Berechnungen von Ihrem Mitarbeiter gesehen, der meint, das unter Umständen durch eine größere Masse eine Beinflußung des Raum-Zeit-Gefüges eintreten könnte?", der schon deutlich in die Jahre gekommene Chefwissenschaftler des Institutes für alternative Energieforschung hatte noch ein Eisen im Feuer: Ein  junger Nachwuchswissenschaftler mit einem Sonderstipendium der Otto-Hahn-Stiftung versuchte sich seit einiger Zeit daran, die physikalischen Grundlagen des Schwarzberg-Generators zu erläutern, was natürlich bei Klatt nur auf wenig Gegenliebe stiess. "Ja ja, ich weiß, eine kritische Masse an Eisen in der kritischen Entfernung von 500 km vom Fokus des Magnetfeldes, und es könnte zur Refokussierung des Zeitkonstante kommen. Aber, Herr Michler, Sie haben sicherlich auch gesehen, das ich das Feld so gedreht habe, dass es auf die offene See, fernab der normalen Schifffahrtswege gerichtet ist. Und, ein Überraschungsbesuch der 6. Flotte steht ja wohl kaum an." erwiderte ihm Klatt in seiner üblichen arroganten Art. "Trotzdem wäre es mir lieber, wenn wir das Experiment ..." begann der sich zunehmend unwohl fühlende Professor, aber Klatt unterbrach ihn barsch: "Herr Professor Michler, ich werde das Experiment heute durchführen. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Mit oder ohne Ihren Segen, morgen sind wir die berühmtesten Menschen der Welt, sie werden sehen." Michlers Widerstand war gebrochen, er merkte, das er gegen den ehrgeizigen Wissenschaftler nicht ankam, "Ruhm, das ist es, worauf es Ihnen ankommt. Das Titelbild der 'Times', das muß es sein, dafür leben Sie. Aber bedenken Sie, welche Person die meisten Titelbilder hatte." Aber ohne ein weiteres Wort hatte Klatt den alten Professor stehen gelassen und war wütend abgerauscht.   

In der Tat war es Großes, was Ing. Klatt plante, unkonventionell und durchaus erfolgsversprechend. Das Experiment sah vor, mit Hilfe des Teilchenbeschleunigers des DESY in Hamburg ein extrem überladenes Magnetfeld zu erzeugen, das durch die spezielle Dreieckskonstellation von Sonne, Mond und Erde in dieser Nacht in seiner Stärke fast verdoppelt werden würde, wenn die Berechnungen der Wissenschaftler stimmten. Mit Hilfe des Magnetfeldes solllten aus einem massiven Kupferring, der genau im Fokus lag, Elektronen geredazu herausgerissen werden. Die Berechnungen sagten, dass durch die Verstärkung des Feldes im Endeffekt mehr Energie entstehen sollte, als zum Aufbau des Magnetfeldes benötigt wurde. Allerdings ließ die zugrundeliegende Formel auch die Möglichkeit der externen Refokussierung durch eine große Masse Ferrit in größerer Entfernung zu, wodurch es angeblich zu einer Teilchenverschränkung über Raum und Zeit kommen könnte.
Klatt wollte natürlich selber auch die Risiken minimieren und hatte daher den Versuch so geändert, dass der externe Zweitfokus auf die offene See gerichtet war. Die Schiffsfahrpläne zeigten keine größeren Bewegungen in der fraglichen Zeit an, und so fühlte sich das Projektteam sicher vor Überraschungen.